In schriftlichen Prüfungen und Abschlussarbeiten, die im stillen Kämmerlein geschrieben werden dürfen, war Täuschung schon immer einfach. Eltern, Freunde und Bekannte, Ghostwriter, verfügbare Literatur: Diverse Ressourcen standen denen zur Verfügung, die es mit der akademischen Integrität nicht so genau nehmen wollten beziehungsweise konnten. Heute sind mit Chatbots hocheffektive Täuschungsmaschinen allgegenwärtig. Wir stellen sie sogar zur Verfügung, im Sinne von Datenschutz, Chancengleichheit und Zukunfsskills. Obwohl sie im Prinzip nur gefällige Wahrscheinlichkeitsberechnungen ausgeben, imitieren die Bots echte Expert:innen erstaunlich gut, wenn sie Texte, Erklärvideos, Podcasts oder Bilder generieren.
Vermeintliche Plagiatserkenner und KI-Detektoren wie Turnitin sind keine Lösung. Und so stellt sich – mehr denn je – die Frage nach dem Sinn von summativen Kompetenzbelegen in Form von wissenschaftlichen Schriften, die in Bibliothek oder Homeoffice am Rechner entstehen. Jetzt, in der Abenddämmerung der Prüfungsformen Haus-, Bachelor- und Masterarbeit, wird beispielsweise vorgeschlagen, verstärkt im Verlauf des Semesters respektive Studiums die individuelle Gesamtleistung der Studierenden zu betrachten. Diese lasse sich in drei bewertungsrelevante Dimensionen Prozess, Produkt und Präsentation zerlegen, wie im sogenannten 3-P-Modell, das wirklich sinnvoll klingt.
Nur: Wie bringen wir die Betreuung im Studium auf ein Zahlenverhältnis Lehrende / Studierende, das eine aufschlussreiche Beziehung ermöglichte? In den beliebtesten Studiengängen haben wir dreistellige Teilnehmendenzahlen. Und wir gehen davon aus, 4,5 Prozent oder mittelfristig faktisch 10 Prozent der aktuellen Haushaltsmittel einsparen zu müssen.
Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz und die Bedeutung akademischer Integrität
Einstweilen bleibt wohl nur, überzeugend von der inneren Befriedigung beim echten Lernen zu schwärmen und den gesellschaftlichen Sinn der akademischen Redlichkeit zu betonen. Von den ethischen und ökologischen Problemen, die sich mit der Technologie verbinden, einmal abgesehen.
Und wir sollten wissen, wie mit Täuschungen in Prüfungen umzugehen ist, wenn sie uns auffallen.
Fragen und Antworten zum Prüfungsrecht bei Täuschungen
Finden Sie hier eine aktuelle Zusammenfassung der Rechtslage in Form von Fragen und Antworten. Die Aussagen basieren auf der Handreichung 15 „Täuschung in der Prüfung“ von Abteilung 3: Studium und Lehre, Referat 31: Qualität und Recht. Diese „richtet sich an Lehrende und Aufsichtsführende sowie Mitglieder von Prüfungsausschüssen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Studienmanagement und soll als Leitfaden zum Umgang mit Täuschungen in Prüfungen dienen“ (Handreichung 15).
Die Korrektheit der gegebenen Antworten hat das Referat 31 mir auf Nachfrage bestätigt. Gleichwohl gilt: Der Verfasser übernimmt keine Gewähr für die folgenden Aussagen. Konsultieren Sie im Zweifelsfall unbedingt selbst die Quelle.
A. Rechtlicher Rahmen und Definitionen der Täuschung
| Nr. | Frage | Ausführliche Antwort |
| F1 | Was ist die rechtliche Grundlage für die Bewertung einer Prüfung mit „nicht bestanden“ wegen Täuschung, und welche Rolle spielt das Grundgesetz? | Jede Hochschulprüfung ist durch Art. 12 I Grundgesetz (GG), die sogenannte Berufsfreiheit, geschützt. Die Bewertung einer Prüfung mit „nicht bestanden“ stellt einen Eingriff in dieses Grundrecht dar und darf daher nicht im „rechtsfreien Raum“ erfolgen. Ein solcher Eingriff ist nur zulässig, wenn er „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ erfolgt. An der Universität Hamburg dient die entsprechende Regelung in der jeweiligen Prüfungsordnung als Ermächtigungsgrundlage für die Bewertung mit „nicht ausreichend“ (5,0) bzw. „nicht bestanden“ (Handreichung 15, Ref. 31, UHH, Seite 2). |
| F2 | Was ist der Unterschied zwischen Täuschungsversuch und Vorbereitungshandlung, und wann gilt eine Täuschung als versucht? | Der Versuch eines Prüflings, in der Prüfung zu täuschen, genügt bereits, um die Prüfung nicht zu bestehen; eine vollendete Tat ist nicht erforderlich. Der Versuch ist von der Vorbereitungshandlung abzugrenzen, welche nicht zu einem „nicht bestanden“ führt. Als Faustregel gilt: Mit Betreten des Prüfungsraumes gilt eine Täuschung als versucht (Beispiel: es wird ein inhaltlich passender Spickzettel mitgeführt). Allerdings ist an dieser Stelle immer eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (Seite 3). |
| F3 | Liegt eine Täuschungshandlung bereits vor, wenn ein unerlaubtes Hilfsmittel nur mitgeführt, aber nicht benutzt wurde? Welche Rolle spielt die KI-Nutzung? | Die tatsächliche Verwendung des unerlaubten Hilfsmittels im Prüfungsraum ist nicht erforderlich; allein das Bei-sich-führen genügt, um eine Täuschungshandlung anzunehmen. Die KI-Nutzung in der Prüfung ist nicht erlaubt, sofern sie als Hilfsmittel ausdrücklich ausgeschlossen ist. Es wird empfohlen, ein etwaiges Verbot technischer Hilfsmittel im Allgemeinen und die KI-Nutzung im Speziellen explizit zu benennen (Seite 4). |
| F4 | Welche Art der Quellenangabe muss bei Plagiaten als Täuschung festgestellt und dokumentiert werden? | Eine Täuschung liegt bei einer fehlenden oder fehlerhaften Zitierweise vor. Es stellt auch dann ein Plagiat dar, wenn ein Prüfling die sogenannte „Letztquelle“, aber nicht die „Zwischenquelle“ zitiert (Seite 3). Eine pauschale Feststellung der fehlenden Zitierweise genügt nicht. Jede Plagiatsstelle ist einzeln zu benennen und die fehlende bzw. fehlerhafte Quellenangabe muss dargelegt werden (Seite 4). |
B. Verfahren während der Prüfung (Dokumentation und Beweisführung)
| Nr. | Frage | Ausführliche Antwort |
| F5 | Was sind die ersten Schritte zur Dokumentation des Täuschungsvorwurfs während der Prüfung? | Die Universität muss den Untersuchungsgrundsatz gemäß § 24 Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz berücksichtigen. Es ist sinnvoll, möglichst viele Zeugen (Aufsichtspersonen) hinzuzuziehen. Die Vorkommnisse sollten so ausführlich wie möglich im Prüfungsprotokoll oder in einem eigenen Gedächtnisprotokoll wiedergegeben werden. Eine Unterschrift des Prüflings auf dem Protokoll ist nicht erforderlich (Seite 8). |
| F6 | Dürfen Beweisfotos angefertigt oder Kopien von Spickzetteln erstellt werden, und wie sind die Datenschutzbestimmungen zu beachten? | Die Anfertigung eines personenbezogenen/personenbeziehbaren Beweisfotos kann hilfreich sein. Die Universität muss hierbei die Vorschriften des Hamburgischen Datenschutzgesetzes beachten. Die Verarbeitung der Daten darf lediglich in Bezug auf die verwaltungsmäßige Aufklärung des Täuschungsversuches erfolgen. Die Daten dürfen nicht an Unbefugte weitergegeben oder veröffentlicht werden (Seite 9). |
| F7 | Dürfen Aufsichtspersonen unerlaubte Hilfsmittel konfiszieren oder vernichten? | Nein. Das Einbehalten zu Beweiszwecken oder die Vernichtung eines unerlaubten Hilfsmittels ist nicht gestattet. Für die Universität besteht keine Ermächtigungsgrundlage zur Beschlagnahmung von Gegenständen. Die Aufsichtspersonen können aber eine Kopie des Hilfsmittels anfertigen; hierfür gelten die datenschutzrechtlichen Vorgaben entsprechend (Seite 9). |
| F8 | Muss dem Prüfling die Fortführung der Prüfung ermöglicht werden, und wann findet die Anhörung statt? | Der Prüfling darf nicht von der Prüfung ausgeschlossen werden, sondern ihm ist die Fortführung der Prüfung zu ermöglichen. Ein Hinweis, dass ein Täuschungsverdacht im Raum steht, ist zulässig. Die Anhörung zur Stellungnahme sollte nicht unmittelbar im Anschluss an die Prüfung und nicht während der Bearbeitungszeit erfolgen. Dem Prüfling ist eine angemessene Frist zur Überlegung zu setzen (Seite 9). |
C. Vorsatz und Beweissicherung
| Nr. | Frage | Ausführliche Antwort |
| F9 | Wer trägt die Beweislast für die Täuschung, und welche Anforderungen bestehen an den Vorsatz? | Die Universität trägt die Beweislast sowohl für die Täuschungshandlung als auch für den Vorsatz (Täuschungswillen) des Prüflings (Seite 5). Ein Versuch setzt immer eine bewusste Handlung (Vorsatz) voraus, auch wenn dies nicht ausdrücklich in der Prüfungsordnung steht. Fahrlässigkeit genügt nicht für die Bewertung mit „nicht bestanden“ (Seite 4). Es genügen alle drei Arten des Vorsatzes: Absicht, Direkter Vorsatz und Eventualvorsatz (Seite 4f.). |
| F10 | Wie kann der Beweis des Vorsatzes bei KI-Nutzung oder schwer nachweisbaren Fällen geführt werden? | Im Falle einer unzulässigen KI-Nutzung kann der Beweis des ersten Anscheins zur Anwendung kommen. Studierende können mit Auffälligkeiten konfrontiert und aufgefordert werden, darzulegen, wie sie vorgegangen sind. Wenn der unzulässige KI-Einsatz als einzige Erklärung bleibt, kann dies als Beleg für Täuschung ausreichen. Der Prüfling kann diesen Anscheinsbeweis jedoch durch einen Gegenbeweis aufheben (Seite 5). |
D. Zuständigkeit und Sanktionen
| Nr. | Frage | Ausführliche Antwort |
| F11 | Wer ist für die Festsetzung der Note „nicht bestanden“ zuständig, wenn die Täuschung bei der Bewertung oder nachträglich entdeckt wird? | Wenn die Täuschung bei der Erbringung der Leistung erkannt wird, ist das vorsitzende Mitglied des Prüfungsausschusses zuständig (Seite 7). Bei Entdeckung bei der Bewertung muss das Verfahren unterbrochen und an den Prüfungsausschuss abgegeben werden. Der Prüfungsausschuss setzt das „nicht bestanden“ fest, da dies eine objektive, dem Organisationsbereich der Prüfung zuzurechnende Feststellung ist. Bei Entdeckung nach der regulären Bewertung ist die Note 5,0 nachträglich durch das vorsitzende Mitglied des Prüfungsausschusses festzusetzen (Seite 8). |
| F12 | Ist der Prüfungsausschuss verpflichtet, die Prüfung mit „nicht bestanden“ zu bewerten, oder sind auch mildere Sanktionen möglich? | Die Prüfungsordnungen sanktionieren Täuschungen grundsätzlich mit dem Nichtbestehen der Prüfung. Der Prüfungsausschuss kann jedoch im Rahmen seines Ermessensspielraums unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes von „nicht bestanden“ absehen. Mildere Sanktionen sind z. B. die mündliche Verwarnung, die Verwahrung von Spickzetteln oder die Wiederholung der Prüfung ohne Anrechnung auf die Wiederholungsversuche (Seite 6). |
| F13 | Unter welchen Voraussetzungen kann eine Exmatrikulation nach § 42 Abs. 3 Nr. 5 HmbHG erfolgen, und welche Beschränkungen gelten dabei? | Schärfere Sanktionen bedürfen einer ausdrücklichen Regelung. Die Exmatrikulation nach § 42 Absatz 3 Nr. 5 HmbHG ist nur bei wiederholtem oder besonders schwerem Fall wissenschaftlichen Fehlverhaltens möglich. Ein besonders schwerer Fall erfordert ein hohes Maß an Täuschungsenergie (Seite 6). Wichtig: Die Vorschrift gilt nur für schriftliche Prüfungsleistungen; mündliche Prüfungen sind nicht erfasst. Vor einer Exmatrikulation muss immer eine Anhörung stattfinden (Seite 7). |
| F14 | Was geschieht, wenn Zeugnis oder Urkunde aufgrund einer nachträglich entdeckten Täuschung zurückgefordert werden müssen? | Wird die Täuschung erst nach Zeugniserteilung bekannt, wird die Prüfung nachträglich mit 5,0 bewertet und das Zeugnis zurückgefordert (Seite 9). Die ausgebende Stelle ist für die Einziehung von Urkunde und/oder Zeugnis zuständig. In der Regel veranlassen die Dekanin bzw. der Dekan die Rückforderung der Urkunde und das vorsitzende Mitglied des Prüfungsausschusses die des Zeugnisses. Es gilt in der Regel eine Ausschlussfrist von fünf Jahren nach der Zeugniserstellung (Seite 8). |
| F15 | Stellt eine Täuschung in der Prüfung gleichzeitig eine Straftat (Urkundenfälschung) dar? | Nein. Eine Täuschung in der Prüfung ist nicht gleichzeitig eine Straftat in Form einer Urkundenfälschung. Obwohl die Prüfungsleistung eine Urkunde im rechtlichen Sinne ist, handelt es sich selbst bei Plagiaten um eine echte Urkunde des Prüflings; eine Verfälschung einer echten Urkunde liegt nicht vor (Seite 9). |
Und wie war das mit Plagiatsprüfsoftware?
Das hatten wir hier schon mal:
Der Einsatz von KI-Detektoren zur Überprüfung von Prüfungsleistungen – Eine Stellungnahme
Veranstaltungsdokumentation: KI-Detektoren und digitale Prüfungen
KI-Erkennungstools im Hochschulbetrieb: Wie verlässlich ist Turnitins Plagiaterkennungsprogramm?
Und aktuell höre ich
„TurnitIn-Protokolle sind im Allgemeinen ein wichtiger Baustein bei der Aufklärung von Täuschungen in Hausarbeiten. Ihnen kommt allerdings nur eine Indizwirkung und keine Beweiskraft zu. Das bedeutet, das jede Fundstelle von TurnitIn noch einmal überprüft werden muss. Die Protokolle geben gute Tipps, geben aber auch zT fehlerhafte Plagiatsstellen an. Ich habe selbst schon ein paar Mal mit solchen Protokollen in Widerspruchsverfahren gearbeitet. Dabei wurden dann Zitate als Täuschung markiert, für die jedoch eine ausreichende Quelle in der Hausarbeit angegeben war. Solche vermeintlichen Täuschungen dürfen den Studierenden natürlich nicht zur Last gelegt werden, so dass eine Kontrolle unabdingbar ist“ (Abteilung 3).
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