Online-Kurse von renommierten Hochschulen, an denen jede und jeder kostenlos teilnehmen kann: „Massive Open Online Courses“ (MOOCs) sind ein Thema, das mittlerweile auch fachfremde Kreise beschäftigt. Selbst taz und FAZ beteiligen sich an der Diskussion um die Bedeutung des MOOC-Hypes auf die deutsche Hochschullandschaft, und die Stiftung Warentest klärte soeben die Allgemeinheit auf. Der Hamburger Senat hielt es gar für angebracht, den Hochschulen zu versichern, sie würden nicht verpflichtet, MOOCs anzubieten. Zwei Wissenschaftler der Universität Hamburg (UHH), die sich aus unterschiedlicher Perspektive intensiv mit dem Thema befassen, kommen nun im Newsletter der Uni zu Wort. Ihre Sicht auf das Thema könnte kaum unterschiedlicher sein. Hier, ganz ungeordnet, einige prägnante Zitate aus dem Gespräch.
Prof. Dr. Rolf Schulmeister gilt im deutschsprachigen Raum als einer der bedeutendsten wissenschaftlichen Begleiter der Digitalisierung der Hochschulbildung in den USA und in Deutschland. 1970 gründete er an der UHH das Interdisziplinäre Zentrum für Hochschuldidaktik (IZHD; heute Zentrum für Hochschul- und Weiterbildung). Er konzipierte die erste, 2006 vom Präsidium verabschiedete eLearning-Strategie der Universität Hamburg. 2013 gab er den Sammelband „MOOCs – Massive Open Online Courses. Offene Bildung oder Geschäftsmodell?“ heraus, der frei zugänglich ist.
Dr. Frank Hoffmann ist Wissenschaftlicher Oberrat am Institut für anorganische und angewandte Chemie. Er arbeitet zurzeit an einem MOOC über die „Faszination Kristalle und Symmetrie“, den das Unternehmen iversity ab April 2014 anbietet. Als einer von zehn Gewinnern des gemeinsamen Förderwettbewerbs vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft und iversity setzte er sich mit seinem Konzept gegen 250 Mitbewerbungen durch.
Didaktisch betrachtet sind die MOOCs keine wirkliche Innovation, denn sie beruhen weitgehend auf einem Lehrmodell, das behavioristische Wurzeln hat.Schulmeister
Seit September 2013 arbeiten mein Kollege Michael Sartor und ich abends, nachts und am Wochenende – schätzungsweise werden es bei mir alleine bis zum Start des Kurses ca. 800 Stunden werden.Hoffmann
Die Kriterien guter Lehre werden nicht durch die Videoübertragung erfüllt oder die zwischen die Videoschnipsel gestreuten Multiple-choice-Tests, sondern die wahre Herausforderung guten Unterrichts besteht in der gekonnten Durchführung eines interaktiven Seminars.Schulmeister
Videos von ca. 5 Minuten Länge stellen ein wesentliches Element dar. Neben speziell erstellten 3D-Animationen werden wir viele Screencasts einsetzen, d.h. durch Audiokommentare ergänzte Aufzeichnungen von Bildschirmpräsentationen. Diese Lerneinheiten (‚Units‘) werden von Quizfragen und Diskussionsangeboten begleitet. Ferner gibt es kleinere Hausaufgaben, z.B.: ‚Sucht und bestimmt Symmetrien in Eurer Umgebung und ladet ein entsprechendes Foto hoch.‘Hoffmann
Die intervallmäßige Unterbrechung durch Testfragen in den MOOCs mag kurzfristig hilfreich für Einzelne sein, um die Aufmerksamkeit zu erhalten, führt langfristig aber nur zur Verstärkung eines extrinsisch stimulierten und unselbständigen Lernverhaltens.Schulmeister
Die Vorteile ergeben sich nicht unbedingt aus dem „massive“, sondern aus der Form: Zeitlich und örtlich absolut ungebunden zu sein, den Dozenten zu jeder Zeit anhalten zu können, schwierigere Passagen beliebig wiederholen zu können, die Möglichkeit mit anderen im begleitenden Diskussionsforum über die Inhalte diskutieren zu können usw.Hoffmann
Aufzeichnungen von Vorlesungen reichen im Grunde für die Unterstützung der Lernenden im Präsenzstudium. Im Vergleich mit Online-Kursen schneidet die interaktive Präsenzlehre in mancher Hinsicht besser ab.Schulmeister
Die Präsenzveranstaltung könnte sich darüber hinaus gemäß des Modells des „flipped classrooms“ weiterentwickeln: Die Studierenden sehen sich die Lehrinhalte zunächst im Vorwege online an und in der Folgewoche findet ein Intensivseminar statt, in dem über den Inhalt diskutiert wird, verbliebene Fragen zum Stoff beantwortet werden etc.Hoffmann
Aufgrund der Finanzkrise in den USA und der Einbußen in ihren Stiftungsvermögen versprechen sich amerikanische Hochschulen eine Kostenersparnis und Kapazitätsgewinnung.Schulmeister
Ich wünsche mir, dass die Unis ihre eigenen MOOC-Plattformen erschaffen und so MOOCs völlig unabhängig von eventuellen kommerziellen Interessen durchgeführt werden können! Zweitens, dass die Unis sich nicht weiter davor fürchten, universitäre Inhalte allen Menschen zugänglich zu machen. Drittens, dass sich eine Wandlung vom MOOC zum POOC vollzieht (Personalized OOC), denn Masse ist nicht unbedingt notwendig. Viertens, dass MOOCs bzw. POOCs so selbstverständlich wie MP3s werdenHoffmann
In Deutschland sind die Motive, einen MOOC anzubieten, unterschiedlich. Ich kann mir vorstellen, dass Einrichtungen wie das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam ihr MOOC-Angebot als Werbung um Studierende verstehen, vor allem, wenn um Studierende aus dem Ausland geworben wird.Hochschulen, die ein besonderes Profil vertreten und bewerben, wie z.B. die Leuphana Universität, können die Aufmerksamkeit, die sie durch ein MOOC bei Schülern und Studienbewerbern erhalten, gut gebrauchen. Auch kleinere Hochschulen in eher ländlichen Gegenden, die mit den großen Universitäten in den großen Städten konkurrieren, können so ihr Profil aufbessern. Ansonsten sehe ich in Deutschland keinen Grund, in großem Maßstab MOOCs (mit Tests, Prüfungen und Zertifikaten) anzubieten, die eher von Hochschulabsolventen als Studierenden besucht und von Alumni als Weiterbildungsmaßnahme betrachtet werden.Schulmeister
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- Das vollständige Interview im Newsletter der Uni Hamburg
- Hoffmann, Sartor, Fröba: Couch statt Hörsaal, in: Nachrichten aus der Chemie (62/1) 2014)
- Hoffmanns Facebook-Seite zu seinem „Crystal-MOOC“
- Schulmeister (Hg.), MOOCs – Massive Open Online Courses. Offene Bildung oder Geschäftsmodell? Münster u.a. 2013
- Schulmeister, As undercover students in MOOCs, Vortrag auf der Campus Innovation 2012 (Video)
Kontext
Hamburger Senat macht Online-Lehre zur Hochschulaufgabe
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