Als Dr. Jörg Dräger gestern Abend das Wort ergreift, ist der in dunklem Holz getäfelte Hörsaal B gut gefüllt. Der frühere Wissenschaftssenator der Stadt schlendert gelassen auf dem Universitätspodium auf und ab, wendet sich freundlich seinem Publikum zu und erklärt ihm wie im Vertrauen, was da draußen eigentlich gerade passiert. Dräger geht es um die digitale Bildungsrevolution, wie er sie nennt. Und um Chancengleichheit, sagt er. Wirklich?
„Die digitale Bildungsrevolution wird unsere Art zu lernen grundlegend verändern und weitreichende gesellschaftliche Folgen haben“, heißt es in der Einladung der Universitäts-Gesellschaft Hamburg, die den Diskussionsabend veranstaltet. Es ist Drägers Motto. Mit dem gleichen Tenor veröffentlichte Dräger 2015 bereits ein programmatisches Buch, gemeinsam mit Ralph Müller-Eiselt von der Bertelsmann Stiftung. Es liegt am Eingang aus, sein Cover schmückt eine der Präsentationsfolien, samt lobender Zitate aus positiven Rezensionen.
In seiner Keynote betont Dräger nun den Anstieg der Studierendenzahlen, die Diversität der Studierenden und die globale Ungleichheit beim Zugang zu Bildung. Dann weiß Dräger mit Zahlen und Beispielen zu beeindrucken. Er berichtet von lernförderlichen Auswirkungen maschinell angefertigter Lernpläne für benachteiligte Schüler in New York und Studierende, die Gefahr laufen, ihr Studium abzubrechen. Vom Potenzial der Auswertung von Benutzerdaten mit dem Ziel, individuelle Fähigkeiten zu erfassen und Lernbedarfe zu bedienen. „Big Data“-Skeptikern nimmt Dräger gleich den Wind aus den Segeln, indem er pflichtschuldig die Bedeutung der persönlichen Datensouveränität hervorhebt.
So weit, so gut. Doch leider bleibt den ganzen Abend über unerwähnt, welches berufliche Interesse man Drägers Ausführungen zuschreiben könnte.
Es ist kein Geheimnis, dass der Alumnus der UHH heute Geschäftsführer des „CHE – Centrum für Hochschulentwicklung“ ist, das nicht nur von der „Stiftung zur Förderung der Hochschulrektorenkonferenz“ getragen wird, sondern auch von der Bertelsmann Stiftung. Auch ist bekannt, dass Dräger seit 2008 Vorstandsmitglied bei der Bertelsmann Stiftung ist und dort den Bereich Bildung verantwortet.
Bertelsmanns Geschäft mit der Bildung
Aber wem ist in dem Uni-Hörsaal wohl gerade präsent, dass die Bertelsmann Stiftung die Aktienmehrheit an dem gleichnamigen Medienkonzern hält? Wohlgemerkt: Europas größtem Medienkonzern. Und dass „Digitales und Bildung“ für den Bertelsmann-Konzern ein wichtiges strategisches Geschäftsfeld geworden ist?
In seiner Keynote beeindruckt Dräger sein Publikum mit jener „Szene“ rund um Sebastian Thrun. Der deutsche Informatiker gab vor fünf Jahren seine Professur an der Stanford University auf, nachdem er seine „Einführung in die künstliche Intelligenz“ erstmals als frei zugänglichen Online-Kurs angeboten hatte. Tausende Teilnehmer absolvierten den Kurs des Elite-Professors erfolgreich. Dräger geht es da auch um Teilhabe am exzellenten Bildungsangebot, meint man.
Gefallen hätte mir, wenn spätestens auf dem anschließenden Diskussionspodium zur Sprache gekommen wäre, dass der Bertelsmann-Konzern seit 2014 Anteilseigner von Sebastian Thruns Bildungsanbieter Udacity ist. Dessen Online-Kurse sollen mittlerweile natürlich Geld erlösen.
Nach einer Finanzierungsrunde im Herbst 2015, in der sich vor allem Bertelsmann engagierte, stieg der Wert von Udacity auf eine Milliarde US-Dollar. Bertelsmann inverstierte zuletzt massiv in Anbieter digitaler Kurse, vor allem in Nord- und Südamerika. Der Konzern möchte im Bildungsgeschäft mittelfristig rund eine Milliarde Euro Umsatz erzielen.
Das alles hätte vielleicht nur indirekt zur Frage der Veranstaltung beigetragen. Aber interessant wäre es schon gewesen. Nur so zur Einordnung der Mahnungen Drägers an die Hochschulöffentlichkeit.
Mehr:
„Bertelsmann und die Bildung“ auf deutschlandfunk.de
„Das maschinengestützte Lernen und seine Spuren“ auf faz.net
Rolf Schulmeister (Hrsg.), MOOCs – Massive Open Online Courses: Offene Bildung oder Geschäftsmodell? Münster u.a. 2013, Volltext (PDF)
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