KI-Tools spielen in der Wirtschaftswissenschaft eine entscheidende Rolle, da sie die Verarbeitung großer Datenmengen und die Analyse komplexer Zusammenhänge ermöglichen. In der digitalen Transformation der Wirtschaft sind Daten zentral für Entscheidungsfindung und Politikgestaltung. Studierende müssen diese Daten effektiv nutzen können, und KI-Tools erlauben schnelle, präzise Analysen. KI-Tools eröffnen neue Forschungsfelder, indem sie unentdeckte Datenmuster und Trends identifizieren. Zudem sind diese Fähigkeiten beruflich relevant, da Absolvent:innen mit KI-Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt besser aufgestellt sind.

Vor diesem Hintergrund hat das Team von Marianne Saam ein innovatives Pilotprojekt gestartet, das die Anwendung modernster KI-Technologien in der Hochschullehre erforscht. Lesen Sie im Folgenden ein Gespräch mit dem Dozenten des Kursprojektes, Mark Spektor.

Bei der Lehrveranstaltung handelte es sich um einen Integrierten Grundkurs I am Fachbereich Sozialökonomie. Unterstützt wurde die Initiative im Rahmen des Förderprogramms der Fakultät.

Könnten Sie uns erzählen, wie der Kurs strukturiert war und was die Studierenden erwartete?

MS: Natürlich. Der Kurs begann mit einer Einführung in die Anwendung der Wirtschaftswissenschaft in der Politikberatung und den Open-Science-Ansatz. Diese Einführung schuf eine solide Grundlage für das Verständnis der Thematik. Wir haben gleich zu Beginn verschiedene KI-Tools wie ChatGPT, ChatDOC, Bard und New Bing vorgestellt und dann die Studierenden dazu eingeladen, diese im Laufe des Kurses als Werkzeuge anzuwenden, um komplexe wirtschaftspolitische Fragestellungen zu lösen. Dies beinhaltete auch eine vertiefte Analyse der wissenschaftlichen Methodologie und der zugrundeliegenden Technologien der eingesetzten KI-Tools.

Wie wurden die Studierenden während des Kurses unterstützt und wie wurde ihre Lernerfahrung vertieft?

MS: Die Studierenden wurden angeleitet, ihre Interaktionen mit den verschiedenen KI-Tools systematisch zu dokumentieren und kritisch zu reflektieren. Viele Aufgaben ließen sich auch in Teamarbeit bearbeiten, wobei ausgewählte Ergebnisse und Reflexionen mit dem gesamten Kurs geteilt wurden. Die Herausforderung für die Studierenden bestand vor allem darin, die Dokumentation sinnvoll zu gestalten. Einfaches Kopieren der Verläufe war wenig zielführend; stattdessen erwiesen sich Meta-Notizen als nützlich. Zunächst setzten die Studierenden mit einem gewissen Maß an Freiheit und auf Basis meiner eigenen Erfahrungen die Tools ein. Durch Ausprobieren erkannten sie selbstständig deren Grenzen und Möglichkeiten.

In jeder Unterrichtsstunde suchte ich das persönliche Gespräch mit jedem Studierenden, um mich nach aktuellen Schwierigkeiten zu erkundigen und Unterstützung sowie Beratung anzubieten. Dies förderte das vertiefte Verständnis und die aktive Beteiligung.

Darüber hinaus wurden Peer-Feedback-Mechanismen in den Kurs integriert, um soziale Kompetenzen und kollektives Lernen zu fördern.


Zur Person

Marianne Saam

Marianne Saam (Foto: ZBW / Max Kovalenko)

Prof. Dr. Marianne Saam ist seit September 2021 Inhaberin der Professur für Digitale Wirtschaftswissenschaft am Fachbereich Sozialökonomie und Leiterin des Programmbereichs „Open Economics“ an der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft.

Mark Spektor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Marianne Saam. Er hat im Jahr 2022 seinen Master of Science in Economics an der UHH erfolgreich abgeschlossen. Davor verbrachte er das Jahr 2021 bis 2022 im Rahmen eines Auslandsjahres an der Staatlichen Universität Sankt Petersburg. Seinen Bachelor of Science in Internationaler Betriebswirtschaft absolvierte Mark Spektor im Jahr 2016 an der Wirtschaftsuniversität Wien. Während seines Studiums verbrachte er das Jahr 2015 mit einem Auslandssemester an der Marshall School of Business der University of Southern California.


Welche Erfahrungen haben Sie mit diesem Peer-to-Peer-Feedback gemacht?

MS: Unsere Erfahrungen mit dem Peer-to-Peer-Feedback waren durchweg positiv. Das Lernen aus den Erfahrungen der anderen erwies sich als äußerst effektiv. Insbesondere bei den abschließenden Präsentationen stellten wir fest, dass die Studierenden ähnliche Herausforderungen auf vergleichbare Weise beschrieben haben. Dies deutet darauf hin, dass es objektiv gesehen spezifische Bereiche gibt, in denen der Einsatz der Tools mehr oder weniger angebracht ist. Natürlich kann ich selbst hingegen den Nutzen aber auch bei Präsentationsgestaltung durch Generierung von ganz individuellen, meinen Bedürfnissen angepassten Prompts für mich finden. Ich denke, dass eine explizite, gerichtete Kommunikation dabei sehr hilfreich sein kann.

Was war das Hauptziel dieses Kurses?

MS: Das Hauptziel bestand darin, die Studierenden an das wissenschaftliche Arbeiten heranzuführen und ihre Digitalkompetenz sowie kritisches Denken zu fördern.

Sie wurden in die Lage versetzt, als wirtschaftswissenschaftliche Politikberater:innen zu agieren und wirtschaftspolitische Fragestellungen mithilfe von ChatGPT und anderen KI-Tools zu beantworten.

Durch die praktische Anwendung modernster Technologien und die Vertiefung in wissenschaftliche Methoden erwarben die Studierenden wertvolle Fähigkeiten für ihre akademische und berufliche Entwicklung.

Können Sie uns zunächst erzählen, wie Ihre Studierenden auf diesen Pilotkurs reagiert haben?

MS: Insgesamt fiel die Kursbewertung sehr positiv aus, insbesondere die Integration von KI-Tools stieß auf große Zustimmung unter den Studierenden. Konkret bezeichneten 56 Prozent der Studierenden die Einbindung der KI-Tools als „sehr gut“ und weitere 36 Prozent bewerteten sie als „gut“. Das ist interessant.

Was fanden die Studierenden besonders hilfreich an der Verwendung von KI-Tools im Kurs?

MS: Die Studierenden betonten besonders den Nutzen, eine Vielzahl von KI-Werkzeugen kennenzulernen und zu erlernen, wie sie diese für ihre wissenschaftliche Arbeit effektiv einsetzen können. Die direkte Anwendung der Tools in der Praxis wurde ebenfalls sehr geschätzt, da sie den Studierenden ermöglichte, unmittelbar praktische Erfahrungen zu sammeln.

Die Gelegenheit, mit einer breiten Palette von KI-Tools zu experimentieren, stieß auf besondere Zustimmung.

Einige Studierende äußerten den Wunsch nach „fertigen, effektiven Prompts“, ein Bedürfnis, das sich auch in anderen Kontexten wie bei der Suche nach Lösungen für Musterklausuren oder idealen Hausarbeiten zeigt.

Hatten die Studierenden vor diesem Kurs bereits Erfahrungen mit KI-Tools im Bildungskontext?

MS: Etwa ein Drittel der Studierenden hatte vorher Erfahrungen mit KI-Tools im Bildungskontext, während die meisten anderen keine Vorerfahrung hatten. In den Freitextantworten im Kursfeedback betonten die Studierenden, dass dieser Kurs ihnen ein breiteres Wissen über die Anwendung verschiedener KI-Tools vermittelt hat und sie sich nun besser mit den Vor- und Nachteilen von KI im Allgemeinen auskennen.

Wie hat sich das Verständnis und die Fähigkeit der Studierenden im Umgang mit KI-Tools durch diesen Kurs entwickelt?

MS: Das Kursfeedback zeigt, dass sich die Hälfte der Studierenden positiv über die Verbesserung ihres Verständnisses und ihrer Fähigkeiten im Umgang mit KI-Tools äußerten. Beeindruckenderweise bewerteten 36 Prozent diese Verbesserung sogar als „sehr gut“. Es war für mich ebenso faszinierend zu beobachten, wie die Studierenden eigenständig die Grenzen dieser Werkzeuge kritisch hinterfragten. Beispielsweise fanden sie die Tools zur Ideengenerierung oder zum Einstieg in komplexe Themenbereiche sehr nützlich.

Bei der Erstellung von Präsentationen oder der Literaturrecherche wurden die KI-Tools jedoch oft als weniger effektiv empfunden, da die Literaturrecherche eigenständig oft zeiteffizienter durchgeführt werden kann.

Dennoch gab es Ausnahmen, wie das Auffinden wichtiger Forscher:innen in einem bestimmten Fachgebiet. Interessanterweise berichteten mir einige Studierende, dass sie ursprünglich sehr zurückhaltend gegenüber KI-Tools waren und ohne diesen Kurs wahrscheinlich nicht so schnell den Schritt gewagt hätten, sie auszuprobieren. Gerade diese Studierenden zeigten sich besonders dankbar für die Erfahrungen.

Wie hat sich die Fähigkeit der Studierenden, anspruchsvolle Texte mit KI-Tools zu verstehen, entwickelt?

MS: Die Studierenden gaben an, anspruchsvolle Texte mit KI-Tools besser zu verstehen. Auf einer Skala von 1 bis 5 gaben 18 Prozent die Wertung 3, die Hälfte die Wertung 4 und 32 Prozent die Wertung 5 an, was auf eine signifikante Verbesserung hinweist. Allerdings möchte ich deutlich hervorheben, dass nach wie vor das eigenständiges Lesen für ein tieferes Verständnis zwingend notwendig ist.

Zuletzt, wie stehen Sie dazu, dass die Mehrheit der Studierenden KI-Tools als Unterstützung an der Universität betrachtet und sie im universitären Kontext für sinnvoll hält?

MS: Ich finde es äußerst ermutigend zu sehen, dass 59 Prozent der Studierenden KI-Tools als Unterstützung an der Universität betrachten und sogar 73 Prozent sie im universitären Kontext für sinnvoll halten. Diese Zahlen zeigen, dass die Studierenden das Potenzial von KI-Tools für ihre akademische Entwicklung erkennen und schätzen.

Vielen Dank für die Einblicke, das klingt nach einem äußerst relevanten und spannenden Kurs.


Das Interview führte Doreen Siegfried.

Dieser Beitrag erschien erstmals im ZBW-Jahresbericht 2023 ab Seite 39. Für die Veröffentlichung hier im Blog wurde der Einleitungstext mithilfe von ChatGPT 4o gekürzt.


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