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Die zum Herbst bevorstehenden Änderungen des Hamburger Hochschulrechts und der Hype um MOOCs haben das Thema eLearning auch an der Universität Hamburg (UHH) deutlich aufgewertet. Wie werden die Fakultäten mit der Entwicklung umgehen, was beschäftigt Lehrende dabei und welche Merkmale sollten Online-Veranstaltungen haben? Vieles ist noch ungewiss. Lesen Sie hier die Meinungen von sechs Experten und Praktikern.
Prof. Dr. Rolf Schulmeister untersucht als Pädagogikprofessor seit Jahrzehnten die Gestaltungspraxis, die Rahmenbedingungen und die Auswirkungen von eLearning-Aktivitäten an Hochschulen. 2006 verfasste er die erste eLearning-Strategie der UHH. Im vergangenen Jahr veröffentlichte Schulmeister einen Sammelband zum Phänomen der sogenannten MOOCs.

Prof. Dr. Rolf Schulmeister

Prof. Dr. Rolf Schulmeister


Online-Seminare per Gesetz? Präsenzkurse und Online-Kurse mag man als unterschiedliche Modalitäten des Unterrichtens betrachten. Die Entscheidung für die jeweilige Modalität des Unterrichtens oder ihre Mischung sollte sich nach den Bedürfnissen oder Merkmalen der Studierenden richten, d.h. die Klientel ist ein maßgeblicher Grund für die Wahl der Modalität. Diese Entscheidung fällt ebenso wie die Entscheidung über die Methoden des Unterrichtens unter die bürgerlichen Grundrechte der Lehrfreiheit (und Forschungsfreiheit), die durch Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert sind. Über den Einsatz von Online-Kursen in einem Studiengang kann allenfalls die das Lehrtableau beschließende Fakultät mitreden.
Warum kommt der das Lehrtableau beschließenden Institution ebenfalls eine Funktion bei der Entscheidung über Online-Kurse zu? Sie hat den Lehrbedarf festzustellen und mit dem Tableau abzudecken. Das liegt nicht im Gesichtsfeld des individuellen Lehrenden. Bei der Bedarfsfeststellung können Gründe eine Rolle spielen, auch ein gewisses Angebot an Online-Kursen von den Lehrenden zu verlangen, z.B. wenn die Fakultät oder der Institutsrat aus der Kenntnis ihrer Klientel darauf schließen kann, dass in einem Bereich rein virtuelle Kurse sinnvoll wären. Denn die das Lehrtableau beschließende Institution ist verantwortlich für die Abdeckung des Bedarfs und der Nachfrage nach Lehre. Solche Entscheidungen können notwendig werden, wenn es beispielsweise eine Gruppe Behinderter, eine relevante Gruppe von Teilzeitstudierenden, einen Anteil mobiler (berufstätiger?) Studierender, einen erheblichen Anteil an Studierenden im Auslandssemester oder im Praktikum gibt.
Angesichts dieser Kompetenzverteilungen ist es unverständlich, warum die Forderung nach Online-Kursen im Entwurf eines neuen Hochschulgesetzes in Hamburg überhaupt auftaucht, ganz abgesehen von der Problematik in einem Gesetz zu definieren, wann von einem Online-Kurs gesprochen werden kann. Es kann über Präsenz- oder Onlinemodus nur im Rahmen des üblichen Lehrplanverfahrens entschieden werden. Wo allerdings Regelungsbedarf seitens der Wissenschaftsbehörde besteht, ist die Tatsache, dass Online-Kurse für den Hochschullehrer erheblich mehr Arbeit bedeuten. Eine Kompensation für diese Mehrleistung vorzusehen, wäre ein vernünftiges Vorhaben der zuständigen Behörde.Rolf Schulmeister

Dr. Angela Peetz ist die eLearning-Beauftragte der Universität Hamburg. Sie leitet das beim Vizepräsidenten für Studium und Lehre angesiedelte Zentrale eLearning-Büro. In dieser Funktion engagiert sich Peetz sich seit langem insbesondere für die didaktische Qualifizierung Lehrender und Studierender.

Dr. Angela Peetz

Dr. Angela Peetz


Die anstehende Novellierung von Hamburgischem Hochschulgesetz und LVVO ist – bezogen auf Online-Lehre – umfassend und fördert die Umsetzung moderner Lehr-Lernkonzepte. Für die eLearning-Büros der Universität Hamburg bedeuten diese Änderungen nach der Verstetigung dieser Supportstrukturen durch das Präsidium eine weitere Anerkennung ihrer Leistungen in den vergangenen Jahren.
Für uns folgt nun als nächster Schritt eine noch stärkere Auseinandersetzung zu den Fragen der Qualitätssicherung. Uns ist dabei wichtig, dass bei der Qualität in Präsenzlehre und Online-Lehre nicht unterschiedliche Messlatten angesetzt werden. Beide Formen der Lehre müssen an der Universität Hamburg normaler „Alltag“ werden. Die Universität Hamburg bleibt eine Präsenzuniversität, aber ein angemessener Anteil Online-Lehre bringt methodische Innovation und fördert Studierende auf dem Weg in eine digitalisierte Arbeitswelt. Die meisten Absolventen des Online-Seminars „Virtuelle Kompetenzen –  von eLearner zum eTutor“, das vom Zentralen eLearning-Büro (ZeB) seit 2009 jedes Semester angeboten wird, wünschen sich mehr Online-Lehre in ihrem Studium. Ermöglicht wird dies nun durch die Verpflichtung der Hochschulen im neuen Hochschulrecht, zur Verbreiterung des Angebots in geeigneten Fällen Online-Kurse anzubieten. Zur Umsetzung werden wir als eLearning-Büros Präsidium und Fakultäten dabei strategisch beraten und unterstützen.Angela Peetz


Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Kai-Uwe Schnapp setzt in seinen Vorlesungen eLearning-Elemente wie Vorlesungsvideos und umfassende Selbsttests ein. Gemeinsam mit dem eLearning-Büro der WiSo-Fakultät führte Schnapp an der UHH die sogenannten Clicker ein. Er war 2009 der Preisträger der WiSo-Fakultät des Hamburger Lehrpreises.

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Prof. Dr. Kai-Uwe Schnapp


Nach meinem Eindruck begrüßen viele Studierende jede Neuerung, die ihnen mehr Flexibilität bringt. Seitdem immer mehr Alltagsaufgaben mit dem Smartphone erledigt werden können, steigt sicherlich auch die Erwartung an die Universität, dass sie Neuerungen, die sich mittlerweile bewährt haben, aufgreift. Daher wundert mich nicht, dass beispielsweise Vorlesungsaufzeichnungen, die als Stream im Internet verfügbar sind, und digitale Selbsttests in meinen Vorlesungen besonders gut ankommen. Wenn die Hamburger Hochschulen nun mehr Online-Kurse anbieten, ist das nur zeitgemäß und kommt dem Lernverhalten der heutigen Studierenden entgegen. Ich hoffe aber, dass wir uns über Lehrmethoden und die Betreuung der Studierenden eher noch mehr Gedanken machen als bisher, wenn digitale Angebote beginnen, die klassische Lehrveranstaltung zu ersetzen.
Die zentrale Frage für eine Präsenzuni ist daher nach meiner Meinung zunächst: Was ist eine Onlineveranstaltung und wann und warum  wollen wir sie einsetzen? Geht es um die Substitution von Lehre mit physischer Präsenz oder um deren Ergänzung? Bei allem muss auch klar sein: Lehre kostet, gut Lehre braucht Investitionen, vor allem zeitlicher Art. Das gilt umso mehr für neue Formate, die man sich erschließen will. Onlinelehre wird daher (und sollte) einen Zweck nicht erfüllen können: An der Zeitinvestition in die Lehre zu sparen. Wer Onlinelehre gut machen will, muss Zeit investieren, wie für jede andere gute Lehre auch.Kai-Uwe Schnapp

Katrin Bliemeister ist Studiengangskoodinatorin im Weiterbildenden Masterstudiengang Kriminologie. Hier wird traditionell mit einer eLearning-Plattform gearbeitet, um den Ansprüchen Studierender gerecht zu werden, die berufstätig sind.

Die Festschreibung der Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen aus Online-Kursen ist  grundsätzlich begrüßenswert. Online-Kurse und Kurse im Blended-Learning-Verfahren können die Lehre auf vielfältige Weise bereichern.
Eine Verpflichtung zur Durchführung von Onlinelehre sollte jedoch nur gelten, wenn die Lehrenden in der Planung und Durchführung unterstützt werden. Beratungs- bzw. Qualifizierungsbedarf dürfte es insbesondere in didaktischen Fragen geben. Die Lehrenden müssen die Möglichkeit haben, sich über die verschiedenen Lehr- und Lernszenarien der Online-Lehre zu informieren und sich in Fragen der konkreten Umsetzung von geschultem Personal beraten zu lassen.
Welche Bereiche im Allgemeinen als „geeignet“ für die Onlinelehre angesehen werden, lässt das Gesetz offen. Einen Anreiz, sich mit den Möglichkeiten der Onlinelehre zu befassen, könnte die gem. § 17 LVVO vorgesehene mögliche Ermäßigung bzw. Aufhebung der Lehrverpflichtung bieten. Zu bedenken ist nämlich, dass die Planung von Seminaren in der Onlinelehre in vielen Bereichen deutlich zeitaufwendiger sein dürfte, als es in der klassischen Präsenzlehre der Fall ist. Gleiches gilt für die Durchführung. Je nach Höhe der Lehrverpflichtung könnte die vorgesehene regelhafte Beschränkung auf 25% schnell erreicht sein.
Unsicherheiten könnte schließlich die mögliche Nichtanrechnung auf die Lehrverpflichtung hervorrufen. Welche didaktischen Mindestanforderungen erfüllt sein sollen, damit eine Anrechnung erfolgt, bleibt unklar und dürfte sich für die verschiedenen Lehrbereiche nur schwierig bestimmen lassen. Anstelle auf die nachträgliche Überprüfung und Entscheidung über die Anrechenbarkeit sollte auf Beratung in Planung und für die Durchführung der Kurse im Vorwege gesetzt werden.Katrin Bliemeister

Prof. Dr. Christine Landfried ist die Inhaberin des Lehrstuhls für Vergleichende Regierungslehre an der UHH. Sie ließ einmal eine Ihrer Einführungsvorlesungen aufzeichnen.

Ich habe grundsätzlich nichts gegen digitale Lernangebote. Freilich fehlt mir der direkte Kontakt zu den Studenten. Und ich fürchte, diese Angebote werden zum Einsparen verwendet. Und dieses ist wiederum für alle von Nachteil.Christine Landfried

Ein Tutor, der in den Sozialwissenschaften WiSoCommSy-Räume einsetzt, in einer anonymen Befragung.

Ich bin gegen digitale Lehrveranstaltungen. Sie zerstören den direkten Kontakt der Studierenden untereinander und damit die Essenz der Universtät; einen erfahrbaren wissenschaftlichen Austausch. Auch wenn über digitale Medien eine effektive Form der Kommunikation ermöglicht wird, sollte der spontane, persönliche und assoziative Diskussionsrahmen in Form klassischer Lehrveranstaltungen erhalten bleiben. Das sehe ich für Seminare, Lektürekurse und Vorlesungen gleich. Falls Studierende sich daran nicht beteiligen, dann muss man sie nicht dazu zwingen, sondern motivieren und etwas von der Notwendigkeit wissenschaftlichen Austausches besser vermitteln.
Ich bin kein klassischer „älterer“ Gegner von digitaler Kommunikation. Ich spreche nur aus meinem persönlichen Erleben und Erfahren. Ich finde ein wichtiger Punkt ist alleine schon die Beobachtung, dass das freie und ad hoc Sprechen vielen Studierenden schwer fällt. Zwar denken sie immer, dass sie das können und nur das Schreiben macht ihnen Angst. In allen meinen Tutorien habe ich jedoch gemerkt, dass viele kaum die Chance haben, zu lernen, was es bedeutet, eine abstrakte und wissenschaftliche Diskussion zu führen, den eigenen Standpunkt unmittelbar zu hinterfragen oder zu verteidigen.

Die namentlich genannten Personen verfassten ihre Kommentare auf Anfrage und für die Veröffentlichung in diesem Blog.
Weitere Stellungnahmen: Vizepräsident Prof. Dr. Holger Fischer und Ökonom Prof. Dr. Thomas Straubhaar